Eine lesenswerte Chronik des Waldhof

von Alfred Heierling

l. Vorwort
Il. Einleitung
lll. Die Hofgüter Waldhof, Atzelhof und Luzenberg
lV. lndustrialisierung
V. Wohngebiet Waldhof
Vl. Leben im Stadtteil
Vll. Luzenberg
Vlll. Gartenstadt

l. Vorwort

Den Mannheimer Stadtteil Waldhof haben – das steht außer Frage, Industrie und Sport gleichermaßen über die Grenzen unserer Stadt und Region hinaus bekannt gemacht. Aus der Keimzelle Spiegelfabrik und ihrer Wohnsiedlung entwickelten sich drei eigene Stadtbezirke: Waldhof, Luzenberg und Gartenstadt. Die Gartenstadt mit ihrer ausgeprägten und gelebten Individualität versteht sich mittlerweile zu Recht als eigenes Stadtteilgefüge. Es sei deshalb erlaubt, sich in diesem Beitrag vorwiegend auf den Waldhof und Luzenberg konzentrieren zu dürfen.

II. Einleitung

Die Vorgeschichte des Mannheimer Stadtteils Waldhof reicht urkundlich betrachtet bis ins Jahr 777 zurück. Im berühmten Lorscher Kodex, einer Abschriftensammlung des Reichsklosters Lorsch, tauchen vier Besitzübergaben in der Gemarkung von Hohstat = hohes Ufer am Rhein, auf. Die Lage dieser wahrscheinlich durch Hochwasser vernichteten Vorgängersiedlung wird in der Umgebung der Firma Roche bei den früheren Ortsgrenzen von Sandhofen und dem damals noch rechtsrheinisch gelegenen Oppau vermutet. Oppauer Straße und Oppauer Huben beziehen sich auf diese Topographie. Der Rhein veränderte um 1300 seinen Lauf und Oppau gelangte auf die linke Rheinseite.

Neuer Ortsnachbar wurde dadurch das erstmals 1227 schriftlich erfasste Käfertal, die Muttergemeinde des Waldhofs. Im Gegensatz zum landwirtschaftlich geprägten Käfertal verdankt der Waldhof seine Entstehung der Industrie entlang des rechten Altrheinufers. Die Gartenstadt entwickelte sich als reines Wohngebiet auf Distrikten des Käfertaler Waldes.

Bevölkerungsmäßig ist der Waldhof einschließlich der Gartenstadt auf 12,87 qkm Fläche mit 24.177 Personen (Stand 31.12.2013) nach 34.000 Einwohnern im Jahr 1970 und trotz des Rückgangs von 27 Prozent bis 1987 auf 24.900 Menschen, der viertgrößte Stadtteil Mannheims.

lll. Die Hofgüter Waldhof, Atzelhof und Luzenberg

Auf der Käfertaler Markung entstanden zunächst um 1800 drei großflächige Hofgüter:

  • Der 42 Morgen umfassende Waldhof mit einem Agrargebäude und Wirtschaftsbetrieb im Besitz der Erben eines Franz Becker auf dem Gebiet der Spiegelfabrik,
  • Der an der Kreuzung des Speckwegs und der Alten-Frankfurter-Straße angelegte Atzelhof (entweder von Atzung = Verköstigung oder von Alzel = Elster, davon leitet sich auch die Atzelhofstraße ab) des Jagdsekretärs Sedelmaier an der Alten-Frankfurter-Straße
  • Das 12 Morgen große Hofgut Luzenberg, dessen Name sich von einem früheren Besitzer Lutz ableitet. Das um 1800 errichtete Landhaus Luzenberg stand im Eigentum des Mannheimer Hofbeamten Karl Theodor von Traitteur, dessen Erben den Immobilienbesitz 1833 versteigerten.

Zwischen den Hofgütern Waldhof und Luzenberg existierte noch die Binger’sche Ziegelhütte, die 1852 zwanzig Leute zählte.

lV. Industrialisierung

Die eigentliche Geburtsstunde des Waldhof schlug am 11. Juni 1853 mit dem Bau einer Zweigniederlassung der französischen Spiegelmanufaktur von St. Gobain. Am 1. Mai 1855 begann die Produktion. Motive für die Standortwahl waren die attraktive Wasserstraße am Altrhein, günstige Bodenpreise und Abgabefreiheit gegenüber der selbständigen Gemeinde Käfertal. Außer den Fabrikanlagen entstand von 1853 bis 1865 nach den Plänen des Pariser Architekten Raymond eine quadratisch angelegte Werkssiedlung, die Spiegelkolonie. Auf dem Waldhof errichtete das Unternehmen 2-geschossige Galerie-Reihenhäuser mit Gärten und Ställen und in dem bereits bestehenden Akazienwäldchen die Direktorenvillen in französischem Stil.

Nach der Fuggerei in Augsburg war die Spiegelkolonie die zweite Anlage dieser Art in Deutschland, die eine ähnlich überdurchschnittliche Infrastruktur besaß: Schule, Kindergarten, eine katholische und evangelische Kirche – die kath. Kapelle Mariä Himmelfahrt von 1861 war erste Station des legendären Geistlichen Rates und Pioniers der Mannheimer Caritas, Landolin Kiefer (1867-1936) -, eine Schwesternstation für die Krankenversorgung, Gaststätte, Bade-, Sport- und Einkaufsmöglichkeiten. Spiegelfabrik und -kolonie erfüllten auch Vorreiterfunkionen im kulturellen wie geselligen Bereich. Werksangehörige hoben 1827 den ältesten Sportverein, den Turnverein Waldhof aus der Taufe und richteten einen Turnplatz ein. Für das Wintertraining stellte das Werk eine Fabrikhalle zur Verfügung. 1885 gründete sich der Gesangverein Harmonia, aus ihm entstand 1886 die Viktoria.

1890 bildete sich der katholische Kirchenchor. Der 1889 von Pfarrer David Schäfer ins Leben gerufene Katholische Arbeiterverein Waldhof ist der zweitälteste des Erzbistums Freiburg. Die Standesorganisation traf sich zunächst in der Kinderschule, ab 1895 im Saal der Brauerei Ritz auf dem Luzenberg. Bei Festivitäten auf dem Waldhof spielte die Musikkapelle der Werksfeuerwehr der Spiegelfabrik auf.

In der isolierten Kolonie wohnten zunächst bis zu 850 aus Frankreich stammende, fast ausschließlich katholische Arbeitskräfte. Bereits um 1900 überwog dann das deutsche Personal. Die Straßen trugen ursprünglich französische Namen. Verwaltungsmäßig orientierte sich das Viertel an dem patriarchalischen System des Unternehmens. Ein eigener Ordnungsdienst sorgte für Ruhe und Disziplin. Eine 1853 von der Staatsbehörde angestrebte Vereinigung des Gebietes mit Mannheim wurde vom Stadtrat abgelehnt.

Im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, genügte die Spiegelkolonie nicht mehr den Wohnansprüchen. Sie wurde deshalb 1964 bis auf zwei Häuserzeilen (Denkmalschutz) abgerissen und teilweise durch Hochhäuser für Werksangehörige ersetzt. Das parkähnliche Terrain zwischen Eisen- und Sandhofer Straße, einst Garten des Schwesternhauses, steht gegenwärtig ebenso in der Diskussion um eine künftige Nutzung wie Teile des Firmengeländes der Spiegelfabrik, die nach der Firmierung VEGLA = Vereinigte Glaswerke heute Saint-Gobain-Glas Deutschland heißt. lm Jahr 2001 beschäftigte die Firma 143 Mitarbeiter. Berühmtester ,,Waldhof-Bub“ der Spiegelkolonie ist übrigens das Fußball-Denkmal Seppl Herberger (1897-1977). Das alte Waldhofstadion von 1927 am Alsenweg ist nach dem ehemaligen DFB-Bundestrainer (1936 -1964) benannt.

Weitere grundlegende Strukturen begünstigten das Industrierevier Waldhof:
Die Rheinbegradigung zwischen Mannheim und der eigenständigen Gemeinde Sandhofen von 1827 bis 1862, was zum Entstehen des Altrheins als idealem Hafengebiet (Industrie- und Floßhafen) führte und in die 1879 eröffnete Bahnstrecke Frankfurt – Mannheim (Hessische Ludwigsbahn, später hessisch-preußische Staatsbahn), die zunächst bis zum Hessischen Bahnhof in der Neckarstadt mündete. Diese Trasse verschaffte dem Waldhof 1878 einen eigenen Bahnhof. Ein weiterer Strang verlief über Worms bis Antwerpen. Damit waren geradezu ideale verkehrstechnische Potentiale vorhanden, ein Fakt, den innovative Unternehmer und weitsichtige Bankiers sofort erkannten und für zukunftsträchtige Investitionen nutzten.

Noch 1966 bildeten in Mannheim die Bezirke Waldhof/Luzenberg den bedeutendsten industriellen Schwerpunkt. 1990 hatte der Waldhof mit immer noch 49 Prozent der Erwerbstätigen den höchsten Arbeiteranteil der Quadratestadt. Die Arbeitslosenquote lag in Waldhof/Gartenstadt im Jahr 2001 mit 7,6% leicht über dem Durchschnitt der Gesamtstadt mit 7,2%. Auf dem Luzenberg waren 9,5% arbeitslos. Das Firmenmenü entlang des Altrheins bereicherte ab 1869 die Anilinfabrik des Vereins Chemischer Fabriken AG. Wegen zu starker Konkurrenz durch die BASF musste der Betrieb still gelegt werden. Die Anlage ging 1890 an den 1877 gegründeten Chemiebetrieb Carl Weyl (bereits 1905 übernommen durch die Rütgerswerke AG), im Volksmund wegen ihrer Teerverarbeitung ab 1911 ,,die Pech“, heute mit verändertem bedarfsgerechtem Sortiment. 1882 verlegte der 1859 in Stuttgart entstandene Chinin und Pharmahersteller C. F. Boehringer – im Jargon ,,die Schwefel“ – seine Verarbeitung vom Mannheimer Stadtteil Jungbusch in den Norden.

Unter dem zielbewussten Management von Dr. Friedrich Engelhorn (1855-1911) begann eine mehr als erfolgreiche Firmenstory. ln der Arzneimittelbranche genießt die Firma nach wie vor mit bahnbrechenden Leistungen Weltruf. Mit dem Bau repräsentativer Komplexe wie den Verwaltungstrakten (1959/60 und 1968/1970), dem Casino (1978), dem sechsgeschossigen Bürohaus (1992-94) und dem Logistikzentrum. (1991-1993) setzte das ehemalige Familienunternehmen in jüngster Zeit auch architektonische Akzente. Boehringer ging 1997 für rund 18 Milliarden Mark auf den schweizerischen Konzern Roche AG über. Die Schweizer waren vor allem an der Biotechnologie interessiert. Mit dem Kauf avancierte Roche zur Nummer Eins auf dem Weltmarkt für Diagnostika. Heute arbeiten in Mannheim rund 5500 Mitarbeiter in der Sparte Diagnostika und 1000 Beschäftigte im Pharmabereich.

Zu den Altrheinfabriken gesellte sich 1884 die Zellstoff-Fabrik Waldhof. Das Werk, das sich 1907 mit der Tochter Papyrus AG auf dem Nachbargelände ausbreitete, ließ sich zwar auf Sandhofener Boden nieder, bezog sich aber in seinem Firmentitel auf den Waldhof. Für beide Werke entstanden ebenfalls eigene Arbeiterwohnanlagen: von 1884 bis 1889 die Zellstoffkolonie an der südlichen Grenze des Firmenareals beiderseits der Zellstoffstraße sowie 1908 nach den Plänen des Stuttgarter Architekten Philipp J. Manz, die als mustergültig eingestufte Papyruskolonie mit mehrstöckigen Häusern. 1984 wurden die 17 Wohnhäuser der Zellstoffkolonie auf der rechten Straßenseite abgebrochen und dafür notwendige Parkflächen geschaffen. Die links liegenden acht Wohngebäude blieben erhalten und zählen zu den wenigen Relikten aus den Gründungsjahren der Zellstofffabrik. Die von dem BASF-Mitbegründer Carl Clemm (1836-1899) geleitete Aktiengesellschaft stieg erfolgreich in die Papierherstellung ein und eroberte rasch eine Top-Position auf dem Weltmarkt.

Das Konzept einer industriellen Großproduktion erforderte eine hohe Belegschaft. Bis 1890 stieg die Zahl der Arbeiter auf 1489 an. Kurz vor 1938 stand der Konzern im Zenit seiner Beteiligungen und Kapazitäten. Das größte europäische Unternehmen seiner Branche beschäftigte 11.000 Menschen. Für ihren enormen Energieverbrauch benötigte die Zellstoff ein eigenes Wasserwerk in der Nähe der Blumenau. Die jahrzehntelange Umweltverschmutzung durch Abgase und Ableitung von Schmutzwasser in den Rhein (,,Stinkkanal) hat sich durch Filteranlagen, die Umstellung auf Sauerstoffleiche sowie den Bau eines biologischen Klärwerkes (1990) wesentlich reduziert. Seit 1960 spielt nach umfangreichen Investitionen vor allem die Tissueproduktion (Hygienepapiere, z.B. Markenartikel Zewa-Softis-Taschentuch oder Zewa Wisch & Weg) ab 1960 eine wesentliche Rolle. Über Nacht stürzte 1969 die Zellstoff in eine tiefe Krise, als mit Hermann Krages ein unbekannter Mehrheitsaktionär auftauchte. 1970 kam es zur Fusion unter dem neuen Firmennamen PWA – Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg. Für viele Waldhöfer war diese Zäsur schmerzlich, weil eine alte Identität verloren ging. Die PWA wurde durch 1995 durch die schwedische SCA Hygiene Products übernommen. Seit dieser Zeit hat SCA Über 400 Millionen Mark in das Mannheimer Werk investiert. Der Konzern beschäftigte in Mannheim im Jahr 2001 rund 1900 Mitarbeiter. Die Serie der Fabriken entlang des Altrheins schloss die 1897 gegründete Süddeutsche Juteindustrie Waldhof ab. Auch die Jutefabrik errichtete ab 1898 ebenfalls eine eigene Werkssiedlung mit einem separaten Frauenhaus für Arbeiterinnen. Die Jutekolonie vermittelt mit ihrer Arbeiter- und Ausländerkultur eine geradezu beispielhafte Migrationsgeschichte.

lm ,,Industriepott Waldhof“ ging es in rasantem Tempo weiter. Auf dem früherem Gelände des Atzelhofs eröffnete 1889 die Eisen- und Metallgießerei Georg Schmitt ihren Betrieb. In der Oppauer Straße begann 1890 die Mannheimer Dampfseilerei. 1896 folgte die Süddeutsche Drahtindustrie und die während des Fahrradbooms entstandenen Drais-Fahrradwerke mit ihrer Werkssiedlung mit 36 Wohnungen im Speckund Fichtenweg. 1899 stellte das Werk die Fabrikation auf Farbmühlen, Knet- und Mischmaschinen für die chemische Nahrungsmittelindustrie um. Heute tritt Drais mit komplexen verfahrenstechnischen Aufgaben für anspruchsvolle Industrien wie Farben, Chemie, Pharma, Papier und Keramik auf.

Die 1872 von Carl Bopp und Carl Reuther in der Neckarstadt gegründete Armaturenfabrik Bopp & Reuther wechselte infolge ihres raschen Aufschwungs 1897 nach Waldhof. Nördlich des Pumpenherstellers geriet 1896/1897 nach dem Konzept des Mannheimer Architekten Wilhelm Söhner eine städtebaulich wenig befriedigende Arbeitersiedlung in sechs dreigeschossigen Reihenhaus-Backsteinbau-Bauten mit 108 Wohnungen, die anfangs bei der Belegschaft auf wenig Gegenliebe stießen. Auf einem Teil des Firmengeländes zeigt heute Bauhaus Flagge. 1907 ließ sich im Speckweg der Apparatebau Gebrüder Kilthau nieder. Doch wohl am prägnantesten für den Waldhof war und ist schließlich Daimler-Benz, seit 1998 Daimler-Chrysler. Bereits 1871 eröffnete Carl Benz eine Werkstatt in der Innenstadt von Mannheim. 1883 kam es zur Firmengründung der,,Benz & Cie, Rheinische Gasmotorenfabrik“. 1886 meldete Carl Benz seinen ,,Motorwagen“ als erstes Automobil der Welt zu Patent an. lm gleichen Jahr stand die Wiege des Automobils in der von Carl Benz erworbenen Werksanlage auf dem heutigen MWM-Gelände in der Neckarstadt. Mit dem ersten Omnibus der Welt von 1894 begann die Geschichte des bekanntesten Produktes der Rhein-Neckar-Metropole. Die 1899 generierte Benz & Cie verlagerte 1907 ihre expansive PKW-Fabrikation samt eigener Gießerei auf freies Gelände an der Riedbahn. Dieser Standort erschloss auch Arbeitskräftepotential aus den hessischen Riedgemeinden. Bereits 1912 zählte der,,Benz“ über 5000 Belegschaftsangehörige. Einen Schwerpunkt bildete während des Ersten Weltkrieges neben dem Automobilbau die Herstellung von Flugmotoren. Die erstarkte ausländische Konkurrenz zwang zu einer Konzentration in der Automobilbranche, was 1926 zur Fusion mit der Stuttgarter Daimler-Motoren-Gesellschaft und zur Daimler-Benz AG führte.

Die Rüstungsaufträge im Dritten Reich begünstigten den Aufschwung. Mannheim konzentrierte sich schließlich auf den Lastwagen- und Omnibusbau. Während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten bei Daimler-Benz in Mannheim über 1000 Zwangsarbeiter. Nach den Sorgen um das Werk im Jahr 1966 mit Massenentlassungen und Reduzierung der Belegschaft auf unter 9000, standen 1989 wieder über 14.000 Mitarbeiter auf dem Waldhof im Lohn. Seit 1983 bietet Mannheim die modernste Anlage in der Busproduktion auf. lnzwischen hat sich der Konzern mit seiner beherrschenden Busproduktion auf über 750000 qm ausgedehnt und gehört trotz erneutem massivem Stellenabbau in den letzten zehn Jahren mit seiner Dieselmotorenfertigung, Busbau, Gießerei und Kabelsatzproduktion und rund 10.000 Beschäftigten immer noch zum größten Arbeitgeber am Standort Mannheim. Entsprechend stark ist die Position des Werkes. Die Benzarbeiter spielten schon früh eine wichtige Rolle in der Mannheimer Arbeiterbewegung und zählen in Süddeutschland mit führender Beteiligung an Arbeitskämpfen zu den Hochburgen gewerkschaftlicher Aktivitäten (z.B. unter den charismatischen Betriebsratsvorsitzenden Herbert Lucy und Karl Feuerstein). Die Firmenlandschaft am Altrhein komplettierte 1956 das Schiffsreparaturwerk Klöckner-Humboldt-Deutz.

V. Wohngebiet Waldhof

Der aufstrebende Industrieplatz Waldhof benötigte nicht nur Wohnraum, sondern auch soziale und infrastrukturelle Maßnahmen. Bereits 1895 übertraf die Einwohnerzahl des Waldhof mit 3541 die von Käfertal mit 3121 Personen. Nicht nur, dass der Bau starke Impulse erhielt und 1891 das erste Schulhaus in der Oppauer Straße entstand, längst korrespondierten die Elemente der Agrargemeinde Käfertal nicht mehr mit den Erfordernissen einer Industriestruktur. Der Waldhof klagte über die Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben, seiner Interessen und verglich sein hohes Gewerbesteueraufkommen mit den Leistungen der Muttergemeinde. Da die Stadt Mannheim schon seit Jahren ein vitales Interesse an weiteren Industrieflächen hatte – auch was Hafenanlagen betraf – um für ihre künftige Stellung im Wirtschaftsleben konsequent ein weiteres günstiges Umfeld zu schaffen, musste sie zusätzliche Gebietsressourcen ins Auge fassen. Nichts bot sich dabei im Mannheimer Norden besser an als die weiten, preisgünstigen Sandflächen zwischen Käfertal und Waldhof. Die 1892 eingeleiteten Eingemeindungsverhandlungen mit Käfertal endeten mit der 1896 per Landesgesetz vollzogenen Vereinigung mit der Stadt Mannheim. Damit war für den Waldhof der Weg für eine weitere eigenständige Entwicklung frei. Zur Wohnungssituation erstellten die meisten Firmen für ihr Personal eigene Werkswohnungen, die freilich in ihrer Ausstattung recht unterschiedlich ausfielen und für heutige Begriffe geradezu triste und abschreckende Mietskasernen verkörperten.

Die Reichsbahn errichtete für ihre Mitarbeiter Wohnblocks in der Schienen- und am Sammelbahnhof in der Stationsstraße. Die Präsenz der Industrieanlagen engte nicht nur die räumliche Ausdehnung ein, sondern wirkte sich auch wegen der starken Umweltbelastungen und Störfaktoren negativ auf Wohn- und Lebensqualität aus. Statt eines zusammenhängenden Stadtteils bildeten sich die beiden Wohnbezirke Waldhof-Ost und Waldhof-West, durch die Bahnlinie voneinander getrennt. Die Wohnbebauung mit schlichten zwei- bis dreigeschossigen Wohnhäusern, meist mit Klinkerfassaden, rührt im wesentlichen aus der Zeit um 1900 bis 1914.

Die lange beanstandete Energieversorgung wurde 1890/91 mit einer Gas- und Wasserleitung sowie Kanalisation realisiert. Der Straßenbahnanschluss folgte 1907, bis 1914 zählte der Waldhof 15000 Einwohner. Aus dem dritten Reich stammt der Waldhofbunker in der Wachtstraße. Nach 1952 dehnte sich Waldhof-Mitte zwischen Huben-, Schienenstraße und der B 44 mit mehrgeschossigen, monotonen Wohnblocks, u.a. der Lehaus Bau GmbH und Genossenschaftsbau GmbH aus. ln Waldhof-Mitte wohnen derzeit 1282 Menschen, davon 400 Ausländer. Den Eingang zum Speckweg in Waldhof-Ost prägt die 1905-1908 erbaute stattliche 3-schiffige neuromanische katholische Kirche St. Franziskus (Architekt Ludwig Mayer) mit einem Querschiff und Chorflankenturm. Bei einer Generalsanierung wurden 1953/54 die ursprüngliche Ausmalung und Ausstattung entfernt.

Schräg gegenüber erhebt sich die von 1907 bis 1908 in stilistisch abgegrenzter Neugotik ausgeführte evangelische Pauluskirche (Architekt Hermann Behagel). Das 1943 ausgebrannte Gotteshaus wurde durch den Mannheimer Architekten Max Schmechel nach 1945 mit verändertem Turmdach wieder aufgebaut. Die beiden Kirchengemeinden hatten auf dem Waldhof keinen leichten Stand, denn das überwiegend sozialdemokratisch und nach 1919 auch stark kommunistisch orientierte Arbeitermilieu stand dem religiös kirchlichen Leben distanziert gegenüber. Die Sozialdemokratie stellt heute noch die stärkste politische Kraft. dar. Trotzdem fanden nicht wenige in den kirchlichen Arbeitervereinen und Gruppen die notwendige Solidarität, soziale Betreuung und Geselligkeit. Die beiden Konfessionen unterhielten auch zwei Kindergärten, die Paulusgemeinde in der Unteren Riedstraße 14, Franziskus in der Hubenstr.29.

Zu einem der wichtigsten Treffpunkte der Katholiken gehörte das von den Vinzentinus-Schwestern betreute und 1908 als Gesellen- und Gemeindehaus eröffnete Franziskushaus im Speckweg 6. Die Einrichtung diente im Ersten Weltkrieg als Lazarett und bietet heute mit ansprechenden Um- und Anbauten neben seinen Gesellschaftsräumen auch Platz für die katholische Sozialstation Mannheim-Nord und den ambulanten Pflegedienst. In der Paulusgemeinde begannen ab 1908 die Aktivitäten des Kirchenchores. 1955 bezog man den im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten und wieder aufgebauten Gemeindesaal mit Kindergarten auf dem Luzenberg in der Stolberger Straße. Der bestehenden Schwesternstation schloss sich Anfang der 60-er Jahre im Speckweg der Bau des Kindergartens und des Paulussaales an.

Nach den Plänen des renommierten Dresdner Architekten Oswin Hempel entstand 1909 in der Luzenbergstraße für die beiden Ärzte Dr. Hans Gruber und Dr. Heinrich Hubach eine Doppelvilla im Jugendstil, 1985 unter Denkmalschutz gestellt. Eine private Investition trug Anfang der 90-er Jahre zum Erhalt des eindrucksvollen Gebäudes bei. 1911 eröffnete im Speckweg das Kinematographentheater Saalbau, das erst 1986 schloss. Das zweite Kino, das Zentral-Theater, befand sich in der Oppauer Straße.

Die zuerst bei der Firma Boehringer untergebrachte Postagentur fand nach einem Zwischenaufenthalt in der Oppauer Straße 37 ab 1930 ihr festes Domizil am Speckweg. Absichten der Stadt Mannheim von 1912, den Waldhof städtebaulich aufzuwerten, wurden nicht verwirklicht. Dagegen entstanden in Waldhof-Ost während der Wohnungsnot und Rezession von 1921 bis 1930 planmäßig angelegte und unterhaltene Barackenwohnungen für Obdachlose und Fürsorgeempfänger, die berüchtigten,,Benzbaracken“, die durch Flachdachhäuser ersetzt wurden. Der Name ,,Benz-Baracken“ übertrug sich auch auf die später durch die 1926 gegründete Gemeinnützige Baugesellschaft (GBG) errichteten Flachbauten. Auch nach 1945 wurden im Umfeld der Oberen Riedstraße weitere slumartige Primitivwohnungen geduldet. Die Gegend entwickelte sich trotz intensiver Sozialbetreuung (z.B. dem Soulmen-Jugendclub) zu einem sozialen Brennpunkt mit schlechtem Image. Gegenwärtig werden die Wohnblocks im Projekt,,Soziale Stadt“ sukzessiv durch ansprechendere Wohnhäuser ersetzt. 150 Kleinstwohnungen werden zu 90 zeitgemäßen und familiengerechten Wohneinheiten mit Fernwärmeanschluss umgestaltet.

Weitere Not- und Einfachwohnungen platzierten sich auch an der Waldstraße und gegenüber von Bopp & Reuther im Alsenweg (Reuther-Siedlung) sowie in den Sandfeldern beim Speckweg. Ab 1933 bauten sich Siedler unter dem Einfluss der NS-Ideologie und unter der Trägerschaft der GBG ihre Einfamilienhäuser im Glücksburger Weg. ln der Nachbarschaft des Waldhof-Stadions findet sich heute eine Mischbauform zwischen Vorkriegs und Nachkriegs-Siedlungshäusern sowie Geschossbauten der GBG, Gagfah, Gartenstadt-Genossenschaft und Stadt Mannheim vor. Die ersten Geschäfte zwischen Sylter Weg und Waldpforte waren Pachl’s Lebensmittelhaus, die Filialen von Johann Schreiber und der Konsumgenossenschaft, das Schuhhaus Henes und das Cafe Zorn.

lm Flensburger Ring hat sich ein kleines Gewerbegebiet mit der

  • Baufirma Georg Rudolph
  • Lidy-Rohrleitungsbau
  • Innenausbau Ruch
  • Überdachungen Rottenberger
  • Maschinenbau Ball
  • und der Mechanischen Werkstätte Peter Wittek

heraus kristallisiert.

Auffällige Bauobjekte sind die 1973 die ihrer Bestimmung übergebene Alfred-Delp-Schule und das Ausbildungszentrum der Bauindustrie Nordbaden. lm Jahr 2001 wohnten in Waldhof-West 2527 Menschen, davon 1709 Deutsche und 818 Ausländer.

ln Waldhof-Ost entwickelte sich ab 1931 aus den ursprünglichen Provisorien und Gartenhäuschen systematisch die in Selbsthilfe ausgebaute Speckwegsiedlung mit ihren für die Umstände und Entstehungszeit überaus charakteristischen Straßennamen wie Kleiner Anfang, Zäher Wille, Große Ausdauer oder Guter Fortschritt. Während der Aufbauzeit formierte sich u.a. 1934 die Siedlergemeinschaft Speckweg. Fast das gleiche Bild zeigt die östlich der Hessischen Straße entstandene Korbangelsiedlung mit ihren Bezeichnungen wie Eigene Scholle, Neue Heimat oder Freie Luft. In diesem Gebiet schufen 1960/61 die Architekten Richard Jörg und Herbert Zinser die durch ihre Bauform auffallende katholische Kirche St. Lioba. Während von außen das Gotteshaus als kubischer Bau wirkt, überrascht das innere als Kreissegment. Mit der ersten Osterweiterung bezog 1960 die Friedrich-Ebert-Schule im Pavillonsysstem mit angegliederter Kindertagesstätte .(Architekt Carlfried Mutschler, ein Sohn des Waldhof) in der Wiesbadener Straße ihren Platz. ln der 1964 errichteten Gethsemanekirche fanden Angehörige der Paulusgemeinde und Auferstehungskirche zusammen.

Am Speckweg ließen sich der Kleingartenverein sowie der FC 67 Waldhof mit seiner Sportanlage nieder. Unter der Trägerschaft der GBG führte die Stadt ab 1962 ein umfangreiches Bauprogramm zwischen der Waldstraße und dem Speckweg und zwischen der Speckwegsiedlung und der Oberen Riedstraße durch. Mehrere aufgelockerte Gruppen fünfgeschossiger Wohnhäuser korrespondieren mit drei an der Hessischen Straße gelegenen Hochhäusern mit je 14 Geschossen. Umfangreiche Grünanlagen bieten ein ansprechendes Bild der damaligen Wohnkultur. Im gesamten Speckweggebiet wohnen rund 6.700 Menschen, darunter 720 ausländische Mitbürger. Die GBG verwaltete im Jahr 2000 auf dem Waldhof insgesamt 1.617 eigene und 235 städtische Mietwohnungen.

Zur Infrastruktur von Waldhof-Ost gehören die Geschäftszeile Hanauer Straße, das Einkaufszentrum in der Rüsselsheimer Straße und die Ladenketten Aldi, Lidl und Tengelmann. lm Ortsteil befinden sich außerdem das 1969 eröffnete Hallenbad Waldhof Ost, die 1963 fertiggestellte lll. Medizinische Klinik des Klinikums Mannheim als Ergänzung zu den zwei bereits bestehenden internistischen Abteilungen, ein städtisches Alten- und Pflegeheim und das Polizeirevier in der Rüsselsheimer Straße. Das Schulangebot bereicherte die 1973 erbaute Theodor-Heuß-Schule. Auf ein eigenes Gemeindesekretariat – heute Bürgerdienst – musste der Waldhof über 50 Jahre lang warten. Das ,,Rathaus“ befand sich 1956 noch in der Oppauer Straße und wurde nach dem Neubau des Kaufhauses Merkur in die Jakob-Faulhaber-Straße 15 verlegt. Mit einem eigenen Friedhof für Waldhof/Gartenstadt dauerte es bis zu dem 1992 fertiggestellten Waldfriedhof .

Vl. Leben im Stadtteil

Dynamisch wie die Einwohnerzahl entwickelten sich auf dem Waldhof Einzelhandel, Handwerksbetriebe, Gastronomie, Vereine und Freizeitangebote. Zu den ersten Gewerbetreibenden gehörten:

  • Malergeschäft Fritz Friedel (1889)
  • Malergeschäft Franz Litterer (1897)
  • Schreinerei Karl Silber (1900)
  • Spenglerei Josef
  • Spenglerei Lacombe
  • Herde und Öfen Hans Rothermel (1907).

Das erste Autohaus war Wilhelm Hackmayer in der Hafenbahnstraße.

1928 zählte der Stadtteil bereits 15 Bäckereien, 15 Metzgereien, 10 Milchhändler, 10 Zigarettenläden, 10 Schuhmacher, ebenso viele Friseursalons und drei Fahrradgeschäfte. Auf dem Waldhof öffnete 1904 die Waldhof-Apotheke B. Münnich, es folgten die Waldhof- und die Luzenberg-Drogerie.
Über 20 Gaststätten, vom

  • Gesellschaftshaus Brückl mit Saal und Kegelbahn (früher: Frische Quelle)
  • Bahnhof
  • Neuen Bahnhof
  • Bootshaus
  • Clubhaus des SV Waldhof Mannheim 07
  • Europäischen Hof
  • Deutschen Michel
  • Freischütz
  • Gute Laune
  • Hirsch
  • Industriehalle
  • Landsknecht
  • Luzenburg
  • Luzenberg
  • Mohrenkopf
  • Alten Post
  • Alten Pfalz
  • Schützenhof
  • Tannenbaum
  • Weinberg
  • Zum Schwarzen Adler
  • Silbernen Anker
  • Stadt Mannheim
  • Waldhof
  • Waldlust
  • Wasserturm
  • Zum Auto
  • Bremsstation

boten allein auf dem Waldhof und in Luzenberg nicht nur genügend Gelegenheit für ein funktionierendes ,,Wirtschaftsleben“, sondern auch an Stammtischen für hitzige Fußball-Diskussionen.

Weitere Vereine traten auf:

  • 1894 Karnevalsverein „Walhalla“
  • 1894 Gesangverein Liederkranz
  • 1897 Radfahrer-Verein
  • 1900 Kleintierzuchtverein „Goggelrobber“
  • 1905 Waldhof-Narren
  • 1909 Sportfischer-Vereinigung
  • 1910 Gesangverein Sängerlust
  • 1910 Schachclub
  • 1912 Wassersportverein,,Vorwärts“, der 1913 sein erstes Bootshaus am Altrhein bezog und aus dem sich 1947 der Verein für volkstümlichen Wassersport bildete.
  • 1907 Aus Bayern stammende Arbeiter kreierten den Heimatverein D’lnzeller.
  • 1908 Italienische Arbeiter schlossen sich zum Verein Pasquale Villari zusammen.

Waldhofs Zuwanderer übten sich in Toleranz und harmonisierten untereinander. Bereits vor 1914 kümmerte sich der Gemeinnützige Verein Waldhof um soziale Einrichtungen und Belange.

Er machte sich gemeinsam mit dem Militär- und Kriegervereins für die Errichtung eines Gefallenendenkmals stark. Das alte Denkmal, 1925 eingeweiht, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch ein neues an der Schienenstraße ersetzt.

Seit 1922 existiert das Rheingold-Quartett. 1907 schlossen sich Mitglieder der Fußballgesellschaft Ramelia und des FC Viktoria Waldhof zum SV Waldhof 07 zusammen. Der neue Klub übernahm zunächst den von der Spiegelfabrik zur Verfügung gestellten Sandplatz an der Wachtstraße und brachte in seiner Geschichte zahlreiche Nationalspieler hervor. Der neue Waldhofplatz wurde 1911 an der Straßenbahn-Endstelle eingeweiht, am Alsenweg spielte man ab 1924. Eine Fusion des SV 07 mit dem Turnverein 1877 unter dem Namen Sport und Turnverein 1877 im Jahr 1921 war nur von kurzer Dauer. Ab 1925 gingen die beiden Vereine wieder ihre eigenen Wege und entwickelten sich mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zu Mehrspartenvereinen. Nach dem Bundesligaaufstieg von 1983 wechselte der SVW in das Südweststadion nach Ludwigshafen. Heute trägt der SVW seine Spiele im lange heftig umstrittenen Carl-Benz-Stadion in Neuostheim aus.

Weitere Fußballvereine waren die 1906 bekannte FG Kickers Waldhof, die Amicitia von 1908 und der VfB 1913 Waldhof. Die Privatmannschaft SV Harmonia Waldhof kickt seit 1948. Über den TV 1877 stiegen ab 1967 der griechische Klub Enosis und Villam Türkspor Waldhof in die Fußballszene ein.

Zu den bevorzugten Sportarten zählten außer Fußball die Schwerathletik und Radfahren. Freizeitangebote vermittelten auch reine Spaßgruppen wie die Tanzgesellschaft Venus Waldhof. Der 1913 gegründete Dramatische Club – seit 1957 die Freilichtbühne Mannheim – bezog 1948 seine Spielstätte auf dem früheren Schießplatz des Schützenvereins Diana mit dem gleichnamigen Lokal an der Waldpforte. 1921 tauchte der Zitherverein auf, 1924 der Kleingartenverein. Waldhofs aktive Arbeitervereine, wie die Gesangvereine Vorwärts, Freiheit und Liederkranz wurden ebenso wie die beiden konfessionellen Arbeitervereine ab 1933 durch die Nazis verboten. Nach 1945 erfuhr die Vereinslandschaft neue Impulse. Wichtige Akzente setzten neue Sportangebote und -anlagen. Nachdem 1943 der TV 1877 seine Turnhalle durch einen Fliegerangriff verloren hatte, begann der Verein 1967 mit dem Bau einer neuen Sporthalle, in der sich heute das Kulturhaus Waldhof befindet. Der vom TV 1877 Waldhof bezogene Sportpark mit großzügigen Anlagen und einer 1992 fertig gestellten Sporthalle im Boehringer-Dreieck sowie die 1985 mit einer 4,5 Millionen-Mark-Spende von Daimler-Benz errichtete Herbert-Lucy-Sporthalle (vorher Karl-Benz-Halle) sind Vorzeigebeispiele.

Auch neue Vereine kamen auf, wie z,B. 1950 der Hundesportverein, 1953 der Keglerverein Waldhof, der Motorsportclub ,,Condor“, 1955 der Box-Club, 1960 der Carneval-Club Waldhof (CCW), 1967 der Fußball-Club, 1977 der Kulturverein Waldhof, 1988 der Bund der Selbständigen oder der CSKD-Kung-Fu. Der Narrenkreis der Paulusgemeinde, die „Paulaner“ verlieh 1984 erstmals den „Hosenträgerorden“ – eine Auszeichnung an Persönlichkeiten, die sich um Waldhof, Gartenstadt und Luzenberg verdient gemacht haben – an Waldhof-Trainer Klaus Schlappner. Aus der Paulusgemeinde gingen auch die „Luzies“, eine agile Frauenturngruppe, hervor. 1981 fand das erste Waldhöfer Straßenfest in der Jakob-Faulhaber-Straße statt. An Persönlichkeiten des Waldhofs erinnern folgende Straßennamen: Carl-Reuther-Straße (Mitinhaber von Bopp & Reuther, wurde 1919 bei den Unruhen nach dem Ersten Weltkrieg erschossen), Jakob Faulhaber (Widerstandskämpfer gegen das Hitler-Regime, 1942 hingerichtet) und die Otto-Siffling-Straße (Fußballnationalspieler, lebte von 1912-1939). An seiner letzten Wohnstätte in der Alten Frankfurter Straße erinnert eine Gedenktafel an den durch das NS-Regime ermordeten Widerstandskämpfer Georg Lechleiter (1885-1942). An den 1977 von Linksextremisten umgebrachten Arbeitergeberpräsidenten Hans-Martin-Schleyer als Persönlichkeit von Daimler-Benz erinnert ein Teilstück der Unteren Riedstraße.

Der Wirtschaftsaufschwung ab 1950 bescherte dem Waldhof und Luzenberg nicht nur weitere mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe wie die

  • Drahtstiftefabrik Fritz Gelbert
  • Chemische Produkte Karl E. Dietsche
  • Apparatebau Willy Spiegel
  • Maschinenbau Walter Krüger
  • Schweißerei Werner Günther
  • Drahtwarenfabrik Julius Wunder
  • oder die Schlosserei Hetzel,

sondern auch einen ausgeprägten Handel, wie die Kaufhäuser Merkur (später Woolworth, Bilka, ECC) oder Möbel-Rothermel sowie Bankfilialen und Ladenketten wie Schlecker oder toom-Getränkemarkt.

Nach den Bars und Cafes der 50-er Jahre (z.B. Cafe Waldhof oder Ossi an der Drehscheibe) öffneten auch unter neuem Namen die Lokale

  • Morgenröte
  • Siedlereck
  • Draiswerke
  • Hanauer Hof
  • Bei Marianne
  • Tatort
  • Klä Amsel
  • Schmuckerklause
  • Onkel Werner
  • Spiegelschlössl
  • Luzze-Buggl
  • Backstübel
  • Hexenhäusel
  • Waldhof-Stübl
  • Bambelwirt
  • Lokal 2001 oder
  • Die’Trepp’nuff.

Mit der Zuwanderung von Immigranten erweiterte sich ab 1965 die Gastronomie um Italiener, Jugoslawen, Griechen, Türken und Chinesen mit neuen Adressen:

  • Amigo
  • Milano
  • Rimini
  • Bei Mario
  • Bei Dina
  • Tropical
  • Benepal
  • Lemon
  • Pegasos
  • Piräus ll
  • Hatay-Döner
  • Ali-Baba
  • China-Town.

Vll. Luzenberg

Der Luzenberg bildet die südliche Erweiterung des Waldhof. Die Stadt Mannheim betrieb nach der Eingemeindung permanent den weiteren Ausbau des Waldhofs als Industriestandort und erschloss das südlich gelegene Gebiet für die Bebauung Der neue Ortsteil ist ein typisches Mietwohnungsviertel der Zeit um die Jahrhundertwende. Die Miethäuser stammen vorwiegend aus der Zeit zwischen 1910 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Neben den benachbarten Firmen, der Stadt Mannheim, der Gebrüder Engelhorn Grundstücksverwaltung und der Rheinischen Creditbank errichtete allein die Waldhof-Wohnungen GmbH 18 Bauten mit 200 Wohneinheiten. Den Luzenberg unterscheiden von anderen Arbeitervororten die vom Jugendstil beeinflussten repräsentativen Fassaden.

Eine Besonderheit ist die imposante, zweiflügelige, vom einem 28 Meter hohen Wasserturm überragte Schule. Der Turm wurde als zweites Hochreservoir 1906-1908 von Otto Eberbach im Jugendstil erstellt. Unter Architekt Richard Perrey wurde 1912-1914 der Anbau der Luzenbergschule mit 25 Klassenräumen und einerTurnhalle realisiert. Im Zweiten Weltkrieg lag erst die Polizei im Nordflügel, 1944 wurden italienische Kriegsgefangene untergebracht. Erst 1946 konnte wieder Unterricht in der Volksschule (heute Berufsschule) erteilt werden. Wegen einer freieren Verkehrsführung stand lange ein Abriss des Komplexes zur Debatte. Das Wahrzeichen des Luzenbergs wurde nach leidenschaftlichen Diskussionen 1977 renoviert.

Weitere Akzente setzte bis zu seinem Abriss das Gaswerk Luzenberg sowie das 1928 gebaute Umspannwerk. Das 11. Polizeirevier befand sich in der Hafenbahnstraße 5. Architektonisch markant ist die seit 1966 in der Spiegelstraße stehende ehemalige kath. Kirche St. Martin, seit 1987 griechisch-orthodoxe Kirche mit dem aus einer Rhombe abgeleiteten Grundriss. Die bugartige Hauptecke weckt Assoziationen an ein Schiff, das tief nach unten gezogene Dach deutet das Motiv eines Zeltes an. Die Umgestaltung der Schienenstraße mit Bau der Passarelle (Bahnunterführung) mit einem neuen Bahnhof Waldhof im Zusammenhang mit der Intercity-Trasse Mannheim -Frankfurt, 1979 begonnen und 1987 abgeschlossen, teilte nun auch den Luzenberg in einen Ost- und Westteil auf.

Für Unruhe bei den Mietern sorgte 1985 der Verkauf der 18 Altbau-Wohnblöcke durch das Waldhof-Wohnungs-Konsortium (WWK) an die Grundstücksgesellschaft Jostock + Weber. lm Rahmen der Stadtentwicklungspläne wurde der Stadtteil mit der zweithöchsten Ausländerquote Mannheims (80%, davon mehrheitlich Türken) in den letzten Jahren merklich aufgewertet. Für das Mannheimer Jubiläumsjahr 2007 steht unter dem Motiv ,,Wohnen am Wasser“ eine Bebauung des Uferbereichs des Waldhof-Beckens zur Diskussion. Heute zählt der Luzenberg 2733 Einwohner und beginnt dank gezielter Initiativen wieder aufzuleben. Mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren wies im Jahr 2000 der Luzenberg die niedrigste Altersstruktur Mannheims auf.

Vlll. Gartenstadt

Die Gartenstadt entstand – weit ab vom Mannheimer Stadtkern – nach den Ideen von Ebenezer Howard – ab 1910 auf der ,,grünen Wiese“ als erste Satellitenstadt der Kurpfalzmetropole. 1910 wurde die ,,Gartenvorstadt-Genossenschaft“ gegründet. ln ihrem Auftrag entwarfen die Architekten Hermann Esch und Arno Anke einen Lageplan für die ersten 130 Wohnungen. 1912 wurde mit den Bauarbeiten für die ersten Wohnungen begonnen. Im gleichen Jahr eröffnete das Lokal Karlstern, später ergänzt um einen Wildpark. Nach 1918 erweiterte sich die Siedlung nach Norden mit dem Zentrum Freyaplatz und dem Gesellschaftshaus mit integriertem Gartenstadt-Restaurant. Mit dem 1922 gegründeten Gesangverein begann Gartenstadts Vereinsgeschichte. Neben den Einfamilienhäusern privater Bauherren entstanden in Folge städtische Siedlungen: 1929/30 die Siedlung für alte Leute und kinderreiche Familien mit dem von Architekt Josef Zizler konzipierten Kinderhaus und Waldschule, ferner die 1934 als Projekt der GBG begonnenen beiden Neueichwaldsiedlungen sowie die Reichsheimstätten- und die Schwarzwaldsiedlung. Die Häuser entstanden auf 640 bis 1000 m2 großen Parzellen.

Den Siedlungen gliederte die Stadt auch Doppelhäuser als Volkswohnungen an. Ab 1935 gründeten sich in den jeweiligen Abschnitten Siedlergemeinschaften wie,,Einigkeit“ und Neueichwald. Die Siedler mussten beim Bau selbst mit anpacken. In der NS-Zeit galten ,,Erhaltung der Rasse und Erbgesundheit“ als Kriterien, als künftige Mieter wurden nicht mehr Erwerbslose, sondern Volksgenossen angesetzt. lm Zusammenhang mit der Osterweiterung entstanden im zeittypischen Stil die 1937 eingeweihte katholische St. Elisabeth und die altkatholische Erlöserkirche. In die ab 1931 gebaute Erwerbslosensiedlung mit Einfachhäusern am Kuhbuckel fügte sich 1936 die von Christian Schrade entworfene Baugruppe der evangelischen Auferstehungskirche ein. 1949 konnte die evangelische Gnadenkirche eingeweiht werden. Die weitere bauliche Ausdehnung nach dem Zweiten Weltkrieg brachte nicht nur einen Bevölkerungsanstieg und Bauboom mit sich, sondern die Lage der Gartenstadt übertrug sich auch auf andere Paradigmen.

Wegen der Waldnähe und dem hohen Freizeitwert ist vor allem der Jugend- Heim-, Sonderschul-, Ausbildungs- und Pflegebereich gut ausgeprägt, wie durch das 1948 von den Amerikanern gegründete Jugendheim Waldpforte, das evangelische Alten- und Pflegeheim Zinzendorfheim, das Johann-Peter-Hebel-Heim, die Eduard-Spranger-Schule, Adolf-Gutzmann-Schule, den Regenbogen-Kindergarten oder die Ausbildungszentren des Roten Kreuzes und der Bauindustrie Nordbaden. Als erster Sportverein entstand 1950 zunächst als Abteilung der DJK Gartenstadt der Verein für Bewegungsspiele VfB, heute mit einer schmucken Sportanlage am Anemonenweg. Das Carl-Benz-Freibad öffnete 1982. Zum Sprachrohr der Gartenstadt avancierte der 1982 gegründete Bürgerverein mit dem eigenen Presseorgan „Gartenstadt Journal“. Mit verschiedenen Feiern beging 1985 die Gartenstadt ihr 75-jähriges Jubiläum. 2001 wohnten hier 10.933 Menschen, der Ausländeranteil betrug 7 Prozent. Diese Menschen lieben ihre Gartenstadt und fühlen sich in diesem lebenswerten Umfeld wohl.

Eine kleine Reise in die Vergangenheit – Die lesenswerte Waldhof-Chronik

Waldhof Mannheim | Unser Schild am Bahnhof Waldhof
Frühe Zeichnung der alten Spiegelkolonie
Der Erfinder des Automobils. Carl Benz hier zu sehen mit seiner Familie
Das Gesellschaftshaus am Freyaplatz ca. 1930
Luzenbergschule
Gemälde der Benz-Werke von Otto Albert Koch von 1916
Foto des TV 1877 Waldhof aus dem Jahre 1920
Der alte Sandacker. Frühere Spielstätte des SV Waldhof Mannheim.
Schwimmerbecken des Hallenbad Waldhof-Ost
Das alte Gebäude des Bürgerdienst Waldhof.